Schorndorfer Nachrichten Donnerstag, 17. März 2005

       
 

Glaubenskrieg um ein Bordell
Pseudoliberal gegen scheinheilig: Die Entscheidungsschlacht ist vertagt

So ein Pech aber auch! Der Aufmarsch ins Rathaus war organisiert, die Messer - im übertragenem Sinne - waren gewetzt, der göttliche Beistand war, wie bei Glaubenskriegen üblich, erfleht. Kurzum: einer erfolgreichen Mission stand nichts mehr im Wege, zumal sich eine Mehrheit im Gemeinderat bereits zur Kapitulation entschlossen hatte. Und jetzt das: Kein Bordell auf der Tagesordnung, die Mobilisierung kann, weil die Stadt den (Um)weg über eine Sperrzonenverordnung mit Toleranzzonenausweisung geht, zunächst einmal abgeblasen werden. Wer geht schon in eine Sitzung, in der es nur um den Flächennutzungsplan und um die läppische Frage geht, wie Schorndorf bis zum Jahre 2015 mit seinem Flächenressourcen verfährt?! Wer hat denn jemals geglaubt, dass das Schicksal der Welt und der nachfolgenden Generation davon abhängt, wie die jeweils mehr oder weniger verantwortlich handelnde Generation mit der Schöpfung - Gottes Schöpfung! - umgeht?! Nein: Die Zukunft unserer Kinder hängt ausschließlich davon ab, ob in Schorndorf ein Bordell zugelassen wird. Erinnern wir uns an die Ausgangslage. Zunächst einmal war´s eine schnell erstaunlich weite Kreise ziehende Standortdiskussion (Stuttgarter Straße), verschärft um den Aspekt, dass es sich um ein der Stadt beziehungsweise der städtischen Wohnbaugesellschaft gehörendes Gebäude handelt, in welches das Laster einziehen soll. Über beides ließe sich sachlich und vernünftig diskutieren. Und man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob ein Bordell am Stadteingang eine Stadt ziert. Oder ob´s nicht sogar von Vorteil ist, wenn die Stadt als Vermieterin auf so einer Einrichtung den Daumen draufhat - ohne dass sie sich deshalb gleich als "Zuhälterin" beschimpfen lassen muss. Beziehungsweise der Oberbürgermeister als "oberster Zuhälter".

Betrachten wir´s mal aus seiner, Küblers, ganz persönlicher Sicht. Da ist ein bislang als Asylbewerberwohnheim genutztes Gebäude, das am 1. August leer steht, was bedeutet, dass jährliche Mieteinnahmen in einer Größenordnung von 100 000 Euro wegfallen, auf die Kübler sowohl als Oberbürgermeister als auch als Aufsichtsratsvorsitzender der SWS nicht oder zumindest nicht ganz verzichten will. Und weil keine andere Nutzung in Sicht ist, die der Stadt einerseits hohe Renovierungskosten erspart und ihr andererseits gesicherte Einnahmen garantiert, darf´s halt auch ein Bordell sein. Zumal damit weitere Standortnachfragen erledigt werden könnten. Möglicherweise aber war das Bordell zunächst auch nur als Druckmittel gedacht in der Hoffnung, einen Zahlungskräftigen Nachbarn, der sein sternstrahlendes Unternehmen nicht mit Rotlicht in Verbindung gebracht sehen will, zum Kauf der heruntergewirtschafteten Immobilie zu bewegen.

Dass der werterzkonservative Winfried Kübler sich in dieser Situation nicht auf formale und kommunalpolitische Aspekte beschränkt, sondern eine gesellschaftspolitische Diskussion über Prostitution begonnen und sich dabei - mutig und glaubwürdig für die einen, zweckdienlich und unglaubwürdig für die anderen - einen (pseudo?)liberalen Mantel umgehängt hat, hat erstens gegenüber Kübler gepflegte Freund-Feind-Bild ganz gehörig durcheinander gebracht, und zweitens einen pietistisch und freikirchlich fundamentalisierten Glaubenskrieg ausgelöst, bei dem einige Maßstäbe ganz gehörig "verrückt" - auch wortwörtlich zu nehmen - worden sind.

Das fängt an bei der Kampfansage "Kein Bordell in Schorndorf" (Unser Motto lautet "Kein Bordell 'für' Schorndorf" Anm. des Homepage-Redakteurs - Wer lesen kann ist klar im Vorteil ;-) ), die den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung längst nicht mehr widerspiegelt: Die ist so unzutreffend, wie absurd, weil es auch in Schorndorf solche Einrichtungen, wenn auch in kleinerem Maßstab, längst gibt, und weil sich die gesellschaftliche Realität, dass es die "Dienstleistung" Prostitution immer gegeben hat und immer geben wird, ernsthaft nicht leugnen lässt. Da mögen noch so heile Familien-, Frauen-, Männer- und Weltbilder beschworen werden. Was nicht heißt, dass Ursachen und Wirkungen von Prostitution nicht kritisch hinterfragt und thematisiert werden dürfen. Gegebenenfalls auch von einem ehemaligen Zuhälter, der einer ganzen bedrängten Christenschar auf einmal als Heilsbringer erscheint.

Das mit den "verrückten" Maßstäben geht weiter beim Aufruf zum zivilem Ungehorsam, verbunden mit der unverhohlenen Aufforderung, Männer, die ins Bordell gehen, bei ihren Frauen - so vorhanden, wie immer immer unterstellt wird - mit Hilfe der Autokennzeichen zu denunzieren. Das grenzt, auch wenn´s vom Geschlecht her nicht ganz passt, an Hexenverfolgung. Und wer in diesem Zusammenhang zivilen Ungehorsam einfordert, der hat vergessen, wo die wirklichen Probleme liegen, von denen es manche wirklich verdienten, dass sich Christen auflehnen, Mahnwachen organisieren und Unterschriften sammeln. Allerdings nicht mit dieser militanten Attitude, wie das beim Bordell geschehen ist, weshalb sich immer wieder aufkeimende Forderungen nach einem Bürgerbegehren von selbst erledigen. Was für eine schein-heilige Anmaßung, Menschen zu diffamieren und als "Antichrist" abzuqualifizieren, nur weil sie eine andere gesellschaftspolitische Realitäten zur Kenntnis nehmende Meinung und vielleicht sogar das relative Wohl der Frauen im Auge haben, die sich auf diese Art und Weise ihr Geld verdienen wollen oder müssen.

All denen, die jetzt auf der Straße und in Leserbriefen so selbstgerecht und hochmütig-pharisäerhaft eifern, sei gesagt: So wenig wie Schorndorf jemals "Schwäbisch-Jerusalem" war, so wenig wird es jemals Sodom und Gomorrah sein. Schorndorf ist nicht mehr und nicht weniger als eine - in aller Regel - liebenswerte Kleinstadt, in der es aber all das auch gibt, was es woanders gibt: Mord, Selbstmord, gewalt, Drogen, Sex bis hin zur Prostitution. Wer den verfall von Sitte und Moral beklagen wollte, der konnte das bislang schon guten Gewissens tun. Dazu braucht´s kein weiteres Bordell. Das aber wird kommen. In der Stuttgarter Straße oder anderswo. Früher oder später. Im schlimmsten Fall illegal und dann ohne große öffentliche Erregung. Schließlich: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Hauptsache, die Fassade ist in Ordnung. A propos Pharisäer: Wir wissen aus der Bibel, dass es Jesus mitunter leichter gefallen ist, Huren ihre Sünden zu verzeihen, als sich mit Pharisäern zu identifizieren. Es scheint also schlimmeres zu geben als ein Bordell.